Wiedereröffnung des Personenverkehrs zwischen Lüchow und Dannenberg

Lüchow
Datum: 23. August 1965
Zeitraum: 1961 - 1970

Bericht in der EJZ vom 24. August 1965
"Freie Fahrt" für den ersten Zug
Blumengeschmückt ab Bahnhof Lüchow — Ein Freudentag für die Kreisstadt

Lüchow. Nach über fünfjähriger Zwangspause verkehren seit gestern 6.30 Uhr wieder Personenzüge zwischen Lüchow und Dannenberg. Das war ein bedeutender Tag für die Kreisstadt und darüber hinaus für den ganzen Kreis und das Zonenrandgebiet, machte er doch deutlich, daß dem Rückzug von der Zonengrenze Einhalt geboten worden ist, ja, daß Schritte unternommen werden, um das Randgebiet wieder dem großen Verkehrsnetz der Bundesrepublik vollwertig einzugliedern. "Wir sind doch nicht abgeschrieben!", sagten die Menschen, die gestern an den Überwegen der Bahnstrecke standen und freudig dem ersten Triebwagen zuwinkten.

Am 2. Juli 1960 um 6.19 Uhr verließ der "letzte“ Personenzug blumengeschmückt den Lüchower Bahnhof. Gestern, am 23. August 1965, um 9 Uhr stand wieder ein mit Blumen und Fähnchen dekorierter Schienenbus am Bahnsteig in Lüchow. Diesmal war es ein freudiger Anlaß, zu dem sich viele Schulkinder und Erwachsene auf dem mit Birkengrün geschmückten Bahnhof der Kreisstadt eingefunden hatten. Wiedereröffnung des Personenzugverkehrs! Ein verheißungsvolles Bild, das sich gestern vormittag dem Chronisten auf der Bahnstation bot: eine Menschenschlange vor dem Fahrkartenschalter; zahlreiche parkende Autos vor dem Bahnhofsgebäude; Verkehrspolizei und Bahnpolizei als Hüter der Ordnung; der Landrat, der Oberkreisdirektor, der stellvertretende Landrat, Lüchows Bürgermeister mit dem gesamten Stadtrat, Rundfunkreporter. Kameramänner des Fernsehens; ein Betrieb, wie ihn der Lüchower Bahnhof seit vielen Jahren nicht erlebt hat. wie ihn seine treuen Bediensteten schon lange nicht mehr gesehen hatten.

Es war ein Freudentag! Und wir wollen darum auch nicht die Freudentränen verschweigen. die wir in den Augen mancher Mitbürger erblickten. Übermannt von dem Gefühl, nun wieder verbunden zu sein mit dem Schienenverkehr, der in die weite Welt führt, gab es für viele ein paar Augenblicke der Ergriffenheit, der Rührung. Das im Zeitalter des Automobils! Denn die Schiene ist immer noch das Symbol für das verkehrsmäßige Erschlossensein eines Gebietes!

Darum haben die Politiker der kommunalen und höheren Ebene, die über fünf Jahre für die Wiederaufnahme des Personenzugverkehrs Lüchow—Dannenberg gekämpft haben, richtig gehandelt. Wirtschaftlich wird man auf dieser Nebenstrecke keine Reichtümer erwerben, aber politisch war es wichtig, sie wieder zum Leben zu erwecken, denn politisch und menschlich gesehen ist sie kein Nebengleis, sondern ein belebender Faktor am Eisernen Vorhang!
Kinder der Lüchower Volksschule traten ihre Klassenfahrt mit dem Zuge an. Bereits die Frühzüge von und nach Dannenberg waren mit über 30 und 40 Fahrgästen gut besetzt. Kurz bevor der Schaffner um 9.10 Uhr das Abfahrtssignal gab, ergriff Landrat v. d. Bussche das Wort und unterstrich die Bedeutung des freudigen Ereignisses. Lüchow und seine Umgebung seien nun wieder mit dem Zuge zu erreichen; Menschen mit Kinderwagen und Traglasten könnten wieder bequem reisen; jahrelange Bemühungen hätten zum Erfolg geführt.

Die Vertreter des Landkreises und Lüchows Stadtväter bestiegen den Triebwagen. Reporter zückten ihre Kameras. Ein Pfiff ertönte, und der „Festzug" setzte sich in Bewegung — Richtung Dannenberg. Auf "endlos“ verschweißten Schienen ging es in zügiger Fahrt durch das Jeetzeltal. Viele hatten die Landschaft aus dieser Perspektive schon lange nicht mehr gesehen. Viele Menschen winkten dem blumenbekränzten Triebwagen zu. Bahnhof Grabow — wollte man ihn nicht schon verkaufen? Heute klingt das wie ein Witz. Auch in Dannenberg-West wehte die Flagge am Mast; auf diesem ebenfalls fast "gestorbenen" Bahnhof wird wieder neues Leben einziehen.

Vor Dannenberg-Ost mußte der Zug ein paar Minuten warten. Das Fernsehteam, das die Einfahrt filmen wollte und nach Abfahrt des Schienenbusses in Lüchow mit dem Auto nach Dannenberg fuhr, war noch nicht eingetroffen. Der Zug war schneller! Schließlich wurden die Signale auch dort auf „Freie Fahrt" gestellt.

Während der gemeinsamen Fahrt dankte Lüchows Bürgermeister Hans Schneider allen, die sich für die Wiederaufnahme des Personenzugverkehrs auf dieser Strecke eingesetzt haben, besonders auch den Verwaltungen und ihren Chefs, Oberkreisdirektor Paasche und OKD i. R. Lübbert sowie Stadtdirektor Stegmann. Auch die Industrie- und Handelskammer und die örtlichen Vertreter der Bundesbahn hätten den Stadtrat in seinem Kampf um die Lösung dieses Verkehrsproblems unterstützt. Nicht zuletzt erwähnte Hans Schneider lobend die Heimatzeitung, die, wie er in den Akten festgestellt habe, über 40 Artikel in Sachen Bundesbahn in den letzten Jahren veröffentlichte.

Mit dem nächsten Zuge wurde die Rückfahrt angetreten. In Lüchow versammelten sich Stadtrat und Kreisvertreter sowie der Lüchower Bahnhofsvorsteher Winkler abschließend im Hotel Jahn zu einem kurzen Umtrunk. Inzwischen fuhr auf dem Bahnhof der nächste Zug ab, und nun pendeln sie wieder, die roten Triebwagen zwischen Lüchow und Dannenberg, fünf Paare täglich. Und es bleibt die Hoffnung, daß sie viel benutzt und nicht wieder stillgelegt werden mögen. tt.


Dazu noch der Kommentar:

Lüchow. Gemeinhin pflegt man das, was gestern morgen zwischen Lüchow und Dannenberg geschah — mit blumen- und fähnchengeschmückten und von Honoratioren besetzten Eisenbahnwagen auf neuen Schienen — als eine Jungfernfahrt zu bezeichnen; diese Fahrt jedoch war lediglich eine zweite Eheschließung der Eisenbahn mit dem Schienenstrang, ja sogar eine Wiederheirat Geschiedener, denn schon früher einmal fuhren hier Schienenbusse.
Jedoch bleiben die Straßenbusse hier der Eisenbahn liebste Kinder, bleibt der Fahrdamm hier ihr bester Freund. Nur schwer war sie zum starren, etwas unbeweglichen Schienenstrang zurückzubekommen. Ihr langer Flirt mit dem Fahrdamm hat ihr aber immerhin zwei Bahnhöfe eingebracht: neben dem Busbahnhof nun wieder auch einen Bundesbahnhof. Der Bahndamm hat eben über den Fahrdamm nur zum Teil gesiegt. Dame Bundesbahn hält es mit beiden, wie einst schon einmal, als sie dem Bahndamm untreu zu werden begann.
Schienenweg — sich'rer Weg, das war ihr Trauspruch gewesen. Finanzielle Zerwürfnisse hatten die Ehe aus den Gleisen geworfen. Gute Freunde aber brachen für den Bahndamm in zähem Kampfe eine Lanze, er erhielt ein neues make up. und der Bruch zwischen Bahn und Bahndamm wurde gekittet. Dame Bundesbahn trägt wieder auf beiden Schultern. Das war auch genau das. was die Anstifter der Wiederheirat wollten: keine Abkehr vom Freund Fahrdamm, mit dem sie ja immerhin ein eheähnliches Verhältnis eingegangen ist, aber auch kein Verstoßen des ihr einst angetrauten Bahndammes, mit dem sie schließlich der Name verbindet. Fahr lieber mit der Eisenbahn . . . !

Als Filmdiva Bundesbahn wiederheiratete, war auch das Fernsehen zur Stelle. Das verpflichtet! Diese Ehe muß nun halten. Und wenn man dann bei der zweiten Silberhochzeit auf dem Bahnhof in Salzwedel daran erinnern wird, was im August 1965 geschah, wird man zugeben müssen, daß es verkehrspolitische Weitsicht auch in diesen Tagen gegeben hat. A. Chr.
Autor/-in:  Kurt  Schmidt (tt)
Quelle:  Axel  Schmidt
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Bahnhof • Eisenbahn
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