Lüchow
Datum: 25. Februar 1978
Zeitraum: 1971 - 1980
Podiumsdiskussion Marianne Fritzen mit Prof. Robert Jungk und Dr. Gaul
Die Elbe-Jeetzel-Zeitung berichtete am 27.2.78:
Der giftigste Kreis der Erde
Zukunftsforscher Robert Jungk im Lüchower Gildehaus über Kernenergie
Lüchow. Star des Abends war Robert Jungk. Im vollbesetzten Gildehaussaal in Lüchow sprach der Zukunftsforscher über die Gefahren, die dem einzelnen Bürger und der Demokratie durch den Einsatz von Kernenergie entstehen könnten. Professor Jungks Sorge: „Der Staat werde, um sich und seine Bürger zu schützen, diese immer mehr kontrollieren müssen.“ An die Adresse der Wähler und der zu wählenden Politiker gerichtet, meinte der Gastredner der Lüchow-Dannenherger Bürgerinitiative Umweltschutz, dass man bei einer Entscheidung für die Kernenergie nicht darum herum kommen könne, das Überleben der Demokratie und der Freiheit in Frage zu stellen. Trotz aller Sicherheitsmaßnahmen könne nicht verhindert werden, dass sich zum Beispiel eine Gruppe nukleare Waffen verschaffe oder herstelle, um zu putschen. Jungk erwartet dies nicht so sehr von den Linken, sondern eher von den Rechten. Der Zukunftsforscher erinnerte daran, dass schon jetzt in der Bundesrepublik eine vorbeugende Beobachtung als Schutz praktiziert werde. So werde das Privatleben derjenigen, die in Kernkraftwerken arbeiten, „in bisher kaum bekannter Weise durchleuchtet“. Kontrolliert würden auch die etwa 6000 Zulieferbetriebe und ihre Arbeitnehmer, die Bewohner in der Umgebung von Atommeilern und vor allem die Kritiker der Atomenergie.
Professor Jungk: „Die Überwachungen werden verstärkt, weil immer mehr Atomanlagen entstehen und niemand niemandem mehr traut. Damit entsteht eine Gesellschaft des totalen gegenseitigen Mißtrauens mit Duckmäusern und Menschen, die sich nur noch anpassen.“ Der Redner bezweifelte außerdem, dass der Staat, der noch nicht einmal ein angeblich sicheres Gefängnis bewachen kann wie das in Stammheim, in der Lage wäre, Kernkraftwerke wirksam zu schützen. Zweifel meldete der Zukunftsforscher auch an dem Begriff der friedlichen Nutzung der Atomenergie an. Es sei erwiesen, dass der Weg vom Reaktor zur Bombe denkbar kurz sei. Aus den Brennstoffen eines Kernreaktors könnte soviel Plutonium gewonnen werden, dass es für Bomben reiche. Diese Atombomben seien zwar primitiv im Vergleich zu den für den militärischen Bereich konstruierten Waffen, hätten aber immerhin eine Sprengkraft von 6 bis 10 Kilotonnen (zum Vergleich: die Hiroshima-Bombe hatte 20 Kilotonnen) Nach Jungk kann davon ausgegangen werden, dass in einigen Jahren etwa 15 bis 20 Staaten Kernenergie benutzen. Dies bedeute, dass ein Gleichgewicht des Schreckens nicht mehr existiere.
Professor Robert Jungk bekannte, dass er aus eigenem Interesse gegen die Kernenergiepolitik kämpfe, denn er habe einen Sohn und hoffe, auch einmal Enkel zu haben. Sein Engagement habe es ihm erschwert, im französischen La Hague, das Kommunalpolitiker dieses Kreises auch besucht hatten, Eintritt in das Werksgelände zu finden. Dennoch habe er erfahren können, dass sich in dieser Wiederaufarbeitungsanlage für nukleare Brennstoffe nichts täte. Die aus aller Welt angelieferten Brennstäbe würden gestapelt und korridierten vor sich hin. Jungk: „Warum hat die Bonner Regierung vor ihrer Entscheidung, eine eigene Anlage zu errichten, nicht eine Untersuchungskommission nach La Hague geschickt? Sie hätte dort feststellen können, dass die Wiederaufarbeitungstechnik noch längst nicht ausgereift ist.“ Der Zuhörer mußte an diesem Abend dem profilierten Redner glauben, dass Wissenschaftler der Atomwirtschaft mit einem größeren Unfall in vier Jahren rechnen. (Jungk: „Das sind doch alles Fachidioten.“) Ein Unfall, der hinsichtlich der Gewinnspanne abgeschrieben wird. Die Frage, ob der Kreis Lüchow-Dannenberg nach dem Bau der Wiederaufarbeitungsanlage zum giftigsten Platz der Erde wird, wurde von Jungk bejaht.
An dem Gespräch am „Tisch auf der Bühne“ des Gildehauses nahmen Marianne Fritzen von der Bürgerinitiative Umweltschutz, Hans Schmelke von der Gesellschaft für Umweltfragen und Naturschutz, der Jurist Dr. Gaul, der Ingenieur Dr. Meyer aus Suderburg und Graf Andreas von Bernstorff als Vertreter des Grundeigentümervereins teil. -co-
Autor/-in:
Otto
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Atomenergie und Widerstand
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